Natürliche Bedingungen der Liebe

Natürliche Bedingungen der Liebe

Lilli und Erik:

Nach einer Liebesnacht der Eltern befand sich Lilli als Zelle im Inneren ihrer Mutter. Das dort herrschende Milieu hat für sie gepasst, und so konnte sie wachsen.

Jeder Keim braucht die passende Umgebung, um zu wachsen. Fällt der Samen eines Löwenzahns auf den Felsen der Steilküste und wird weiter ins Meer getragen, kann sich die Zelle nicht entwickeln. Auf dem erdigen, fruchtbaren Boden einer saftigen Wiese hingegen kann er Fuß fassen, Wurzeln schlagen und zu einer starken Pflanze heranwachsen, die Ihre Kraft auch künftigen Generationen übertragen wird.

Die moderne Lebensweise bereitet häufig ein inneres Milieu, welches die Entstehung neuen Lebens verhindert. Erschöpfung, Burnout, Fatigue, Schlaflosigkeit, Anpassungsstörungen, Essstörungen oder auch chronische Schmerzen sind Faktoren, die zu lang anhaltendem Stress und Immunschwäche führen. Das stört den Stoffwechsel, das Immunsystem und das Autoimmunsystem des Körpers. 

Lillis Eltern aber geht es gut und sie lieben sich sehr. So konnte auch Lilli wachsen. Sie wurde als weibliche Zelle angelegt und schon einige Tage nach der Zeugung mit männlichen Hormonen versorgt. Bei ihr - sagen wir - waren es weniger männliche Hormone, und so wurde sie ein Mädchen, das ihre Eltern Lilli nannten. In derselben Stadt, aber ganz am anderen Ende, passierte zur selben Zeit Ähnliches. Dort wurde gerade Erik gezeugt. Er bekam - sagen wir - mehr männliche Hormone und wurde somit ein Bub. Er wird für Lilli eine sehr bedeutende Rolle spielen. Sie werden sich kennen und lieben lernen, sie werden miteinander glücklich sein und streiten, sie werden sich trennen und versöhnen, sie werden Kinder haben.

 

Die Natur als Kupplerin

Für unsere Fortpflanzung brauchen wir Menschen die Vereinigung beider Geschlechter. Männer müssen zur Chemie der Frauen passen, damit der Samen in die Eizelle der Mutter kommen kann. Dafür bedarf es einiger Vorbereitung, bei der uns die Natur unterstützt – schließlich ist es ihr Ziel, die Spezies Mensch zu erhalten und sie sogar zu vermehren. Voraussetzung ist jedoch eine möglichst gesunde Entwicklung jedes Individuums. Also hilft sie uns dabei, die passende Partnerin, den passenden Partner zu finden und zu erkennen, ob sie gut zueinander passen oder nicht – ob sie in Harmonie leben können oder nicht. Und um uns zur Fortpflanzung zu animieren, richtet es die Natur sogar ein, dass dieses Auswahlverfahren spannend, lustig und erlebnisreich ist. 

Eine Frau riecht, ob das Immunsystem des Mannes zu ihr passt und ein passendes Milieu für ein gemeinsam erzeugtes Kind möglich ist. Mann und Frau küssen sich, um sich dabei unbewusst und vollautomatisch chemisch zu analysieren. Die Frau wiederum zeigt bei jeder Bewegung, die sie während des Eisprunges hat, dass sie gerade sehr empfänglich ist für Samen. Diese Bewegungen erkennen Männer auch gleich ganz genau – wenn auch meist nur unbewusst. Schon die Beobachtung einer Frau bei einer einzigen Drehung um die eigene Achse verstehen Männer sofort – nicht bewusst, aber doch ganz klar! Sie nehmen die Empfangsbereitschaft der Frau auch zur Kenntnis, wenn sie ihr in die Augen schauen. Jedoch nicht über den Verstand. Der nimmt nur 40 Impulse pro Sekunde wahr, das sind gerade einmal sieben Informationen. Unser Gehirn verarbeitet aber 1,5 Millionen Impulse pro Sekunde. Also bekommt der Verstand vieles nicht mit, was das Gehirn jedoch sehr wohl verarbeitet. 

Daher hat Liebe auch nichts mit dem Verstand zu tun. Liebe entsteht aufgrund von Erkenntnissen des Gehirns, und dieses verarbeitet eben 37.500 Mal so viele Faktoren wie der Verstand. Daher ist es auch sinnvoll, manchmal den Verstand zu verlieren und der Liebe ihren Lauf zu lassen. Denn sie zeigt uns, ob zwei Menschen zueinander passen und ob sie gemeinsam für ein gutes Milieu im Mutterleib sorgen können.

 

Natürlich ist einzigartig

Von sich aus entwickelt sich die Zelle immer weiblich. Gibt es jedoch ein Y-Chromosom im 23. Chromosomenpaar, ist es eine Hodenzelle mit der Bauanleitung für die Produktion von Testosteron. Andernfalls ist es eine Eierstockzelle für die Produktion von Östrogen. Hoden, in denen das nötige Testosteron für das Wachsen zum Buben produziert wird, entwickeln sich erst auf ein spezielles Signal hin. Diese Unterscheidung beginnt sich gegen Ende des dritten Schwangerschaftsmonats auszuformen.

Jeder Vorgang in der Natur ist einzigartig, und so gibt es auch viele Varianten der Entwicklung. Es gibt Mädchen, die männliche Informationen bekommen und männliche Signale aussenden, und es gibt Burschen, bei denen weibliche Informationen in den Zellen bestehen bleiben. Es gibt Babys, bei denen man nicht weiß, welches Geschlecht sie haben, und Babys, die beide Geschlechter haben.

Während sie heranwachsen, fühlen sich manche Buben eher wie Mädchen, und manche Mädchen eher wie Buben. Männer lieben Männer und Frauen lieben Frauen, Buben wollen Mädchen sein, und Mädchen Buben. Buben weinen und finden es unerträglich, wenn sie keine Kleider im Kindergarten tragen dürfen, und manche Mädchen fühlen sich erst wohl in ihrer Haut, wenn sie kurze Haare haben und alle anderen glauben, sie seien Bub. Der Vater einer transgeschlechtlichen Person sagte mir einmal: „Ich hatte nie Angst, dass er schwul wird. Er war es immer!“ 

 

Natürlich ist ängstlich

So wurde Lilli also als Mädchen geboren und Erik als Bub. Lilli hatte Glück mit ihren Eltern, weil ihr Papa ihre Mama sehr liebt und während der Schwangerschaft gut auf sie aufgepasst hat. Er hatte sicher auch Probleme, aber die hielt er vor Mama versteckt, so gut er konnte. Denn er wusste, dass die Gefühle von Mama auch Lillis Gehirn ausbilden. Ging es ihrer Mama gut und war sie glücklich, dann hatte sie Glücksbotenstoffe im Blut, die über die Nabelschnur in Lillis Körper kamen und ihre Fähigkeiten für Sicherheit im Gehirn auszubilden begannen. 

Die Natur schickt uns nämlich mit einer Menge von Ängsten auf die Welt. Diese Ängste sollen unser Leben sichern. Wir weichen ruckartig zurück, wenn etwas auf uns herunterfällt. Wir erstarren, wenn sich eine Schlange vor uns aufbäumt. Wir schrecken zurück, wenn wir Spinnen sehen. Das alles hat seinen Sinn: Der umfallende Baum kann uns erschlagen, die Schlange und die Spinne könnten giftig sein. Weil die Natur unser Leben erhalten will, überlässt sie es nicht dem Zufall, dass wir solche Ängste ausbilden, sondern verankert sie in unserem Gehirn und gibt sie uns mit auf die Welt. Damit wir auf Ängste reagieren können, müssen sie jedoch aktiviert werden. Dazu brauchen wir bloß ein einziges Mal die Angst im Gesicht unserer Mutter sehen – und diese erkennen wir von Anfang an. Dann startet das „Angstprogramm“ und wir fürchten uns auch.

Bei Rhesusaffen hat man beobachtet, dass das junge Äffchen die Angst vor der Schlange bei der Mutter zumindest einmal gesehen haben muss, damit es sich vor der Schlange fürchtet. Hat das kleine Äffchen diese Chance nicht, weil die Mutter zuvor verloren gegangen ist, wird es unweigerlich ein williges Opfer des tödlichen Feindes. Denn es flüchtet nicht, wenn es eine Schlange sieht. 

Wir tragen offensichtlich Schablonen von angreifenden Fratzen in uns, damit wir schnell Gesichter von anderen interpretieren können. Diese Schablonen bilden den Abgrund des Bösen ab. Das Gehirn scannt das Gesicht des anderen, vergleicht es mit den abgelegten Vorgaben, und je weiter das wahrgenommene Gesicht davon abweicht, umso sympathischer ist uns das Gegenüber. Die Natur schaut also darauf, dass wir zuerst einmal schnell das Böse erkennen und uns dann erst vom Guten überzeugen lassen. Wir haben also eine Menge von Ängsten in uns verankert, die durch die Ängste unserer Umwelt und Eltern gestartet werden. 

Lilli hatte Glück, ihr Papa sorgte gut für ihre Mama und hielt ihr Probleme während der Schwangerschaft vom Hals. Auch sind ihre Eltern selbst in Geborgenheit aufgewachsen und kennen Rezepte für Geborgenheit schon in ihrem Erbgut. Die Rezepte für Geborgenheit sind schon in ihrer DNA enthalten. Bei ihnen wurden die Ängste gut gestartet, wodurch sie alle wichtigen Ängste auch kennen. Sie wissen auch, wie sie ihre Seele schützen können, und nähren ihre Nerven gut. So haben sie eine dicke Decke von Sicherheit über ihre Ängste gebreitet und passen gut auf sich auf. Ganze neun Monate durfte Lilli daher hauptsächlich gute Botenstoffe erleben, die ihre Fähigkeiten zum Wohlbefinden im Gehirn ausbildeten.

Aber manchmal bekam sie einen Streit mit oder hörte einen lauten Knall, und ihre Mama hat sich geärgert, weil ihr etwas runtergefallen und kaputt gegangen war. Lilli konnte also auch Stress erleben und weiß daher, dass man sich vor lauten Geräuschen fürchtet, und dass man sich bei einem Streit ärgert. Aber immer wurde wieder alles gut. Papa und Mama haben sich dann immer umarmt und wieder versöhnt, und wenn etwas kaputt gegangen ist, haben sie es wieder repariert. Das war gut. Es ist wichtig, dass sie weiß, wie es sich anfühlt, traurig zu sein, damit sie andere auch gut verstehen kann. Es ist wichtig für Lilli zu wissen, dass man sich versöhnen kann und dass eine Umarmung so viele gute Hormone ausschüttet, dass man sich wieder gut fühlen kann.

Bei Erik war das leider anders. Seine Mama war fünf Jahre sehr verliebt, als sie sehr jung war. Ihre große Liebe aber bekam einen Job im Ausland und zog fort. Die beiden haben sich über die Jahre hinweg aus den Augen verloren. Seine Mama war 22 Jahre alt, wieder alleine und sehr traurig. Große Sehnsucht nach männlicher Fürsorge plagte sie, die sie schon als Kind nicht erfahren konnte, da sie selbst ihren Vater nie kennenlernen durfte. Er wollte nie etwas mit ihr zu tun haben. In dieser Phase der Trauer, der Verunsicherung traf sie jenen Mann, der Eriks Vater wurde. Aber dem wurde bald alles zu viel. Die Bedürftigkeit seiner Frau in der Schwangerschaft ging ihm auf die Nerven. Er begann, sie lautstark zu beschimpfen und zu schlagen. Eriks Mama hatte häufig Angst vor dem Zorn ihres Mannes, und das laute Brüllen und die Gewalttätigkeit schickten sehr häufig Stressboten über das Blut in den ganzen Körper. So bildete sich das Stresszentrum in Erik ganz stark aus. Gefühle wie Angst und geschlagen werden waren Erik schon im Mutterleib vertraut und wurden zu seinem Alltag. So waren ständig fast alle Angstboten in Erik unterwegs und konnten sich nicht beruhigen. 

Lillis Mama hingegen konnte sich rundum wohl fühlen und Lilli konnte das Dasein einer Eierstockzelle genießen. Sie konnte sich in der heilen seelischen Welt ihrer Mutter, abgeschirmt von der äußeren Welt, in ihrem Bauch als Mädchen entwickeln. Fortwährend teilten sich ihre Nervenzellen, das bestehende Wissen ihrer Zellen wurde fortwährend durch neue Informationen ergänzt. Ihr wuchsen Fortsätze, die einmal ihre Arme und Beine werden sollten, und ihre ersten Bewegungen im Nacken machte sie schon im Alter von acht Wochen. Bald konnte man auch schon von außen die ersten Bewegungen in den Fortsätzen erkennen. Immer waren die Fähigkeiten, die Lilli bereits hatte, die Grundlage für die neuen Fähigkeiten. Stündlich kam etwas Neues dazu. Ihr Gehirn war zuerst ein dünnes Rohr, wurde dicker und bildete sich schließlich zu ihrem Rückenmark aus. Im vorderen Bereich des dicken Rohres haben sich Gruppen von Nervenzellen gebildet, aus denen sich ihr Gehirn entwickelte. Es war faszinierend, wie ihre bereits bestehenden Muster bestimmten, wie die Entwicklung weiterging. Jeder weitere Fortsatz wusste durch den vorhergehenden, wohin er sich weiter ausbilden musste.

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