Der lange Weg zur Liebe

Der lange Weg zur Liebe

Arzt und Psychiater Joachim Bauer, sowie eine Reihe von wissenschaftlich Tätigen im Bereich der Psychoneuroimmunologie werden nicht müde, immer wieder die Bedeutung von gelingenden Beziehungen für unsere Gesundheit aufzuzeigen. Empathieloses Verhalten, lieblose, abwertende und ignorierende Beziehungen aktivieren gefährliche Risikogene, die zu schleichenden Entzündungen im Körper führen. Diese vier antisozialen  Beziehungsmerkmale führen noch stärker zu Erkrankungen und Tod, als Substanz- und Medikamentenmissbrauch, nährstofflose Ernährung und mangelnde Bewegung. Ein solches Milieu im Körper begünstigt Neuropathien, Allergien, Autoimmunerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Tumorerkrankungen und Demenz. 

Siegfried Wagner, Arzt für Allgemein- und Familienmedizin in Heidelberg, erklärt dies mit dem Beispiel einer Schimmelbildung in schlecht belüfteten, feuchten Räumen. Die medizinische Forschung hat sich bisher hauptsächlich mit der Entwicklung von verschiedenen Arten von Schimmeltod beschäftigt und hat wenig Zeit dafür aufgewendet, das Milieu der Schimmelbildung zu erforschen.

In diesem Blog versuchen wir die Entstehung der vier entscheidenden Beziehungsmerkmalen, die zwischen Gesundheit und Krankheit entscheiden, deutlich zu machen.

Wir stellen dafür Körper und emotionale Funktionen in der Sprache und Erlebniswelt von etwa Dreijährigen bis Sechsjährigen dar.  Wir haben uns dafür entschieden, weil wir emotional wie Sechsjährige und nicht wie Vierzigjährige reagieren. Auch wenn wir als erwachsene Personen weinen, weinen wir wie Sechsjährige und nicht wie Vierzigjährige.

 

Die körperliche Landschaft im Gehirn für emotionale Funktionen

In meiner Praxis erlebe ich sie täglich: Menschen, die zweifeln. Sie tragen ihre Unsicherheit in sich, oft schon ihr ganzes bisheriges Leben. Manche wissen gar nicht, was ihnen zum Glück fehlt, andere wiederum hadern mit ihrer Lebenssituation: Sie finden keine Partnerschaft, oder ihre Partnerschaft verläuft nicht ihren Vorstellungen entsprechend, sie haben ständig Streit mit den Eltern, die Kinder machen unentwegt Probleme und so weiter und so fort.

Viele meinen auch die Ursachen für ihre Zweifel zu kennen: Sie seien beziehungsunfähig, der Partner erweise sich als lieblos und rücksichtslos, die Eltern mischen sich ständig ein und die Kinder sind Einflüssen ausgesetzt, die ihnen nicht guttun.

Das Unglücklichsein schafft tatsächlich Schmerzen, nicht nur seelisch, sondern auch körperlich und häufig liegen die Ursachen in einer „Unterernährung“ unserer Nervenzellen. Diese müssen regelmäßig gefüttert werden, damit wir seelisch und körperlich gesund leben können. So wie wir regelmäßig Nährstoffe essen müssen, um nicht zu verhungern, müssen auch die Nervenzellen stetig genährt werden. Wir können uns ja auch nicht einmal für unser ganzes Leben lang satt essen und dann nie mehr hungrig sein. So ergeht es auch unseren Nervenzellen. Sie brauchen laufend Nahrung, damit wir nicht seelisch und nervlich verhungern.

Die Nahrung für unser Wohlbefinden sind Botenstoffe, vier Systeme an der Zahl: Oxytocin, Serotonin, Dopamin und Noradrenalin.

Schon bei unserer Zeugung bilden sich die Quellen dieser vier Botenstoffsysteme – mit dem Ziel, unsere Seelenwelt in Bach- und Flussläufen mit ihrem Quell zu durchziehen und unsere Gefühlswelt zu einem fruchtbaren Land zu machen, auf dem Emotionen gedeihen und Früchte tragen können, auf dem unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit wachsen können und über das sich die Zufriedenheit stimmungsvoll ausbreiten kann.

Klappt das nicht, dann bilden sich emotionale Steppen und Wüsten: hart, trocken, karg, der Erosion ausgesetzt und daher selbst für geübte Ackerbauer kaum zu bewirtschaften. Hier kann die seelische und körperliche Gesundheit nur schwer entstehen, wenn es unendliche Mühen kostet, selbst ein kleines Pflänzchen vor dem Verdorren zu bewahren. Hier kann nur spärlich Glück gedeihen, hier finden Einfühlungsvermögen, Gemeinschaftsgefühl, Wertschätzung und Respekt keinen Boden, um Wurzeln zu schlagen.

Es ist also notwendig, dass die vier Quellen ihre Boten in unserer Seelenlandschaft verteilen können. Je weitläufiger diese Aulandschaft wird, je weit verzweigter die Fluss- und Bachläufe sind, desto besser. Doch diese müssen auch gefüllt werden – stetig und in jener Menge, die es braucht, damit auch die kleinsten Seitenarme immer wieder frisch gefüllt werden. Geschieht dies nicht oder versiegt die Quelle gar zur Gänze, trocknen erst die Seitenarme aus, dann die Bachläufe oder zum Schluss sogar die Flussbetten. Dann versandet unser Gefühlsleben im wahrsten Sinne des Wortes – und die Versteppung setzt ein.

Die Quellen beginnen schon kurz nach der Zeugung zu sprudeln, bahnen aber die Grundmuster ihrer Verzweigungen und ihrer Wege in vier unterschiedlichen Lebensphasen durch unsere Seelenwelt und stellen den Botenstoffspiegel für unser Leben ein. Das Gehirn lernt auf Grund der Umwelt sich mit seiner Botenstofftätigkeit anzupassen. In diesen Lebensphasen ist das Gehirn besonders dafür geeignet, die entsprechenden Grundmuster aufzubauen.

Das Oxytocin beginnt schon in der Zeit sich zu verzweigen, die wir im Mutterleib verbringen, und legt die Grundmuster seines Netzes aus Flüssen, Bächen und Rinnsalen vor allem noch in den ersten sechs Lebenswochen an. Damit die Oxytocin-Quelle richtig sprudelt, müssen wir Einfühlsamkeit erfahren und spüren. Erst primär die Einfühlsamkeit durch die Mutter, aber auch die der engsten Familie, damit die werdende Mutter Einfühlsamkeit spürt. Denn selbst Ungeborene können bereits erleben, wenn etwa der Vater zärtlich die werdende Mutter berührt, wenn das Geschwisterkind den Bauch der Mutter streichelt oder leicht zurück drückt, wenn das ungeborene Kind gegen die Bauchdecke tritt. Später braucht die Quelle auch die Einfühlsamkeit der weiteren Familie, etwa von Großeltern und den engen Freunden, und noch viel später, im Erwachsenenalter, die des Partners, der Herkunftsfamilien, der Nachbarn und der besten Freundinnen.

Auch das serotonerge System lässt wie alle anderen Botenstoffe das Serotonin schon im Mutterleib sprudeln. Seine große Aulandschaft baut es im ersten Lebensjahr. Damit diese Quelle ergiebig ist und bleibt, müssen wir Zufriedenheit empfinden. Echte und tiefe. Das gelingt, wenn wir im ersten Lebensjahr uns verbunden mit den anderen erleben und für diese erfüllend sind. Hier schaffen die von uns begeisterten Bezugspersonen eine fruchtbare Aulandschaft für unsere Motivation im Leben. Je hilfreicher wir uns als Kleinkinder erfahren, desto fruchtbarer ist die Landschaft des dopaminergen Systems.  Dopamin treibt uns an, sobald wir ein lohnendes Ziel erkennen. Ohne Dopamin würden wir nichts angehen, keinen Finger rühren. Zu wenig Dopamin lässt uns erstarren, seelisch, wie auch körperlich. 

Das Noradrenalin verzweigt seine Flüsschen und Bäche durch Erlebnisse, die vermehrt im vierten und fünften Lebensjahr auftreten.  Das ist die Zeit, in der wir uns aus dem Kleinkindchen Schema heraus entwickeln und sich unsere Geschlechterrollen ausbilden, wenn wir Vater-Mutter-Kind Spiele spielen, dort wo wir uns das männliche und weibliche Verhalten von unseren Eltern abschauen. Funkeln die Augen des Vaters anders beim Anblick der Mutter als bei der lieben Nachbarin und blitzen die Augen der Mutter anders, wenn sie Papa in die Augen schaut, als beim lieben Nachbarn, dann können wir uns in aller Ruhe mit dem weiblich sein oder männlich sein beschäftigen. Noradrenalin verzaubert den Antrieb durch das Dopamin mit lustvollem Prickeln.

Das Gehirn ist ein selbstlernendes System und formt sich nach den Bedingungen, die es vorfindet. Kinder müssen über uns hinauswachsen, sie müssen einmal die Probleme lösen, die wir noch nicht lösen können. Haben sie eine gute Basis für die Entwicklung von Vertrauen (Oxytocinspiegel), Zufriedenheit (Serotoninspiegel), Anerkennung (Dopaminspiegel) und Wirksamkeit (Noradrenalinspiegel) können sich auch unsere Kinder weiterentwickeln und die Herausforderungen, die unsere Generation überfordern in Zukunft kreativ und mutig lösen und ihre Gesundheit pflegen.

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